Integration statt Isolation – Diakonie kritisiert zu lange belastende zentrale Unterbringung von Geflüchteten
von Oeffentlichkeitsarbeit EKASuR
09.09.2022
Geflüchtete müssen nach ihrer Ankunft schneller in Kommunen ziehen dürfen, müssen schneller aus dem schwierigen Leben in Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) herauskommen. Denn, so die Leiterin der „Offenen Sozialarbeit“ der Diakonie An Sieg und Rhein, Michaela Teigelmeister: „Die lange Verweildauer in Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen ist für schutzsuchende Menschen sehr belastend. Wir machen in der Flüchtlingsberatung immer wieder die Erfahrung, dass eine selbstbestimmte Lebensführung geflüchtete Menschen stabilisiert. Eine schnellere Zuweisung in die Kommune ermöglicht unter anderem auch Kindern und Jugendlichen eine gesellschaftliche Teilhabe durch den Zugang zu Kindergarten und Schule.“
Ruth Kippelt, Leiterin der Schwangerenberatung der Diakonie An Sieg und Rhein: „Aufgrund meiner Tätigkeit mit schwangeren Frauen und Frauen mit Säuglingen in der ZUE Sankt Augustin kenne ich ihre schwierige Situation. Die Frauen haben u.a. keinen Zugang zu Strom in ihren Zimmern. Für das Erwärmen von Wasser zur Nahrungszubereitung in der Nacht müssen sie ihr Zimmer verlassen und ggf. dort ihre Kinder zurücklassen. Zudem erhalten stillende Frauen keine zusätzliche Lebensmittelversorgung außerhalb der zentralen Essenszeiten.“
Juristisches Gutachten
Die kürzere Unterbringung von Geflüchteten ist möglich und steht nicht im Widerspruch zum Bundesasylgesetz. Zu diesem Schluss kommt eine juristische Einschätzung, die das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) in Auftrag gegeben hat. Fast jede*r Zweite hatte zum Stichtag 31. März 2021 mehr als sechs Monate in den Aufnahmeeinrichtungen verbracht. Rund 1.700 Menschen hatten allein im ersten Quartal 2021 bereits mehr als ein Jahr dort gelebt – das sind 31 Prozent der in diesem Quartal untergebrachten Geflüchteten. „Das ist ein unhaltbarer Zustand“, sagt Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. „Wir fordern seit Jahren, dass Geflüchtete schnell dezentral in den Städten und Gemeinden untergebracht werden. Die juristische Einschätzung zeigt: Es ist möglich.“
Koalitionsvertrag umsetzen
Die neue schwarz-grüne NRW-Landesregierung habe in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie die Unterbringungszeiten für Familien und vulnerable Menschen auf drei und für alle anderen Gruppen auf sechs Monate verkürzen wolle. „Wir begrüßen das und fordern, die Erstunterbringung wieder vom Rückkehrmanagement zu trennen. Bislang ist leider noch nichts geschehen“, sagt Dietrich Eckeberg, Referent für Migration und Flucht. Er hoffe, dass die neue juristische Einschätzung die Diskussion nach vorne bringe. „Konkret geht es um die Frage, ob NRW Geflüchtete kürzer in Aufnahmeeinrichtungen unterbringen kann, als es die im Bundesgesetz formulierte Höchstgrenze von 18 bis 24 Monaten vorsieht.“
Der von der Diakonie RWL beauftragte Rechtsanwalt kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Ich habe mir das Bundesgesetz angeschaut und es gemäß Wortlaut, Systematik und der historischen Auslegung ausgewertet“, sagt Jens Diekmann, der auf Bundesebene für die Diakonie in der Rechtsberaterkonferenz mitarbeitet und beim UNHCR Ansprechpartner für Flüchtlingsfragen ist. „Niemand kann sich hinter dem Bundesgesetz verstecken, so meine juristische Einschätzung. Einer kürzeren Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen stehen zumindest keine juristischen Hindernisse im Weg. “ Das Gesetz gebe den Bundesländern bewusst Raum, um die Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen individuell zu gestalten.
Isoliert in „Verwahranstalten“
Keine Besuche, Taschen- und Ausweiskontrollen am Eingang, keine Möglichkeit zu kochen und nur sporadische Deutschkurse – viele Aufnahmeeinrichtungen seien zu Recht als „Verwahranstalten“ verrufen, sagt Dietrich Eckeberg. „Wir isolieren Geflüchtete bis zu zwei Jahre lang – ohne wesentliche Förderung oder Unterstützung. Und dann erwarten wir, dass sie sich danach integrieren, wenn sie eine Wohnung in den Gemeinden zugewiesen bekommen“, kritisiert der Flüchtlingsexperte.
Viele Menschen hätten durch die lange Zeit in Lagern jede Motivation verloren und seien zum Teil durch die Bedingungen in den Einrichtungen traumatisiert. Besonders für Kinder sei das Lagerleben eine enorme Belastung fernab von jedem normalen Alltag mit einem geregelten Schulunterricht.
„Es ist in unserem eigenen gesellschaftlichen Interesse, dass wir die geflüchteten Menschen schnell in unsere Gemeinschaften integrieren“, ergänzt Christian Heine-Göttelmann. „Ein Leben in der Schwebe ohne jede absehbare Perspektive für die Zukunft ist unmenschlich.“ Jetzt sei die schwarz-grüne Landesregierung in der Verantwortung, ihr Versprechen schnell umzusetzen. „Die Freie Wohlfahrtspflege steht bereit und unterstützt gerne bei der Umgestaltung“, sagt der Diakonie RWL-Vorstand.
Links
- Diakonie RWL
- Hilfe für Geflüchtete
- Hilfe für Schwangere