Das SPZ ist für alle Menschen da
Bei Besuchen wie dem Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) der Diakonie An Sieg und Rhein erleben Konfirmandinnen und Konfirmanden, wie Nächstenliebe praktisch aussieht. Im Gespräch beschreiben Pfarrer Michael Lunkenheimer und SPZ-Leiter Martin Schmidt, wie ein solcher Besuch funktioniert und was die Jugendlichen für sich selbst mitnehmen.

Sie gestalten Besuche von Konfirmand*innen im Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ): Was kann und soll an solchen Tagen herumkommen – ganz grundsätzlich?
Martin Schmidt: Ich glaube dass es wichtig ist, dass die Konfis im Rahmen ihrer Vorbereitung auf die Konfirmation nicht nur die Verkündigung kennenlernen, sondern auch erfahren, was Kirche praktisch durch die Diakonie tut. Wie wir Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen helfen. Ich finde es wichtig, ihnen auch das SPZ mit seinen unterschiedlichen Angeboten vorzustellen.
Und aus Sicht des Gemeindepfarrers: Worauf zielen diese Tage im Allgemeinen?
Michael Lunkenheimer: In unserem Konfi-Modell arbeiten wir regelmäßig mit den Samstagen und dieser ist eben der „Diakonie-Tag“. Da lernen die Konfis diakonisches Handeln in Gemeinde und Diakonie kennen. Sie entdecken, wie wesentlich das für die Kirche ist und was das mit der Nächstenliebe zu tun hat, die Jesus verkündet hat. Nach unseren Erfahrungen gelingt das am besten, wenn diakonische Akteure den Konfis jeweils selbst ihren Dienst näherbringen und mit ihnen ins Gespräch kommen Noch eindrücklicher wird das natürlich an Ort und Stelle. Deshalb besuchen wir an diesem Tag die katholische Sozialkirche in Oberlar, wo unsere ökumenisch-diakonischen Initiativen zuhause sind, und die beiden großen Einrichtungen der Diakonie in Troisdorf, die Suchthilfe und das SPZ.
Was kann man mit 13, 14 Jahren von psychischen Erkrankungen verstehen?
Martin Schmidt: Mehr als man denkt. Die jungen Menschen haben schon die Erfahrung gemacht, dass es für das Thema psychische Erkrankung nicht wirklich eine Sprache gibt. Ich halte es für wichtig, auch über das Thema psychische Erkrankung zu sprechen. Das heißt, sie haben die Erfahrung als solche gemacht, aber nicht, dass man darüber auch sprechen kann. Das sprechbar zu machen, ist mir immer wieder ein Anliegen. Genauso wie das Thema Gesundheit gehört auch das Thema Krankheit zu unserem Leben. Zum Leben gehören sowohl körperliche Erkrankungen, als auch psychische Beeinträchtigungen. Das haben auch diese jungen Leute schon erlebt. Sie haben erlebt, dass ihre Mutter oder ihr Vater mal traurig waren. Dass jemandem der Antrieb gefehlt hat. Dass es schwerwiegende Lebensereignisse gab. Dass es in der Familie schon Themen wie Trennung oder Verlust, etwa von einem Großelternteil, gab, vielleicht Zwistigkeiten in der Familie. Sie haben ganz viele Dinge erlebt – aber auch, dass nicht darüber gesprochen wird.
Michael Lunkenheimer: Da kann ich mich direkt anschließen. Uns ist es wichtig, dass das Thema psychische Erkrankungen für die Konfis mehr Normalität gewinnt. Dass es mit dieser Erfahrung ein Stück aus der Tabu-Ecke rückt. Im Lauf des Lebens hat es eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, psychisch zu erkranken. So ist das, wie mit anderen Erkrankungen auch. Das ist kein Grund für eine Stigmatisierung, sondern ein Grund, möglichst früh und ohne Hemmungen auf Hilfe zuzugehen. Wenn wir mit unserem Besuch im SPZ ein bisschen den Horizont dafür öffnen können bei den Konfis und sie das mitnehmen, dann ist das ganz wertvoll, sowohl für ihren Umgang mit psychisch erkrankten Menschen als auch für das, was in ihrem Leben vielleicht einmal vorkommen wird.
Wie erklären Sie Jugendlichen das Wort „psychisch erkrankt“?
Martin Schmidt: Ich fange ganz woanders an. Ich fange bei dem Wort Krise oder dem Wort Stress an. Wenn ich die Jugendlichen fragen würde: Kennt Ihr psychische Krankheitsbilder? oder: Ist jemand in der Familie schonmal psychisch krank geworden? Dann würde ich keine Antwort bekommen. Wenn ich die Kinder und Jugendlichen frage: Wer von Euch hatte schonmal Stress? Dann gehen alle Arme hoch. Dann kann man sagen: Womit hatte man Stress im Leben, in der Schule, in der Familie, man hat Stress mit Freunden. Manche haben auch schon so etwas wie Mobbing erfahren. Viele haben auch schon die Erfahrung gemacht, was Stress mit einem macht, zum Beispiel Bauchschmerzen. Oder dass man nicht gut schlafen kann. Oder Prüfungsangst – kennen viele Kinder und Jugendliche schon in diesem Alter. Sie haben sowohl die Erfahrung gemacht, dass sie Stress bewältigt haben und dadurch eine positive Erfahrung gemacht haben. Aber sie haben durchaus im Einzelfall die Erfahrung gemacht, dass es ihnen nicht gelungen ist, den Stress zu bewältigen und dass dadurch zum Beispiel die Prüfungsangst immer größer wird.
Aber nicht jeder Stress führt zu einer Erkrankung, oder?
Martin Schmidt: Nein, natürlich nicht. Wenn man sich mal gezankt hat, wird man nicht krank. Aber wenn zum Beispiel eine Prüfungsangst wächst, wenn die Angst nicht mehr weggeht, wenn Angst vor der Angst entsteht, wenn man vor lauter Angst gar nicht mehr zur Schule gehen will, dann besteht das Risiko, dass eine Angsterkrankung entsteht. Es gibt kein Leben ohne Stress, aber man kann mit einer psychischen Erkrankung umgehen und damit leben. Wer im Rollstuhl sitzt, kann nicht laufen, aber sehr wohl Lebensqualität haben. Wie bei einem gebrochenen Bein ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist die Überleitung zum SPZ: Es ist wichtig, frühzeitig den Punkt zu finden, Hilfe zu suchen und zum Beispiel über die Angst, die man hat, auch zu sprechen. Also was ich nicht mache ist psychische Krankheitsbilder vorzustellen.
Sie erklären nicht den Unterschied von Psychose und…
Martin Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Ich erkläre auch keine unterschiedlichen Entstehungsmodelle. Ich sage einfach: Psychische Erkrankungen gehören zum Leben dazu. Stress ist ein häufiger Auslöser. Dazu kommen dann noch Faktoren wie familiäre Vorbelastungen, organische Faktoren, äußere Faktoren. Das verstehen die Kinder und Jugendlichen dann relativ gut. Wenn sie mitnehmen, dass man über das Thema sprechen kann und darf und dass es auch für psychische Belastungen und Krisen Hilfen gibt, dass es gut ist, genauso wie bei vielen körperlichen Erkrankungen möglichst früh Hilfe in Anspruch zu nehmen, dann haben wir schon viel erreicht.
Können die Konfis auch Klient*innen sprechen?
Martin Schmidt: Sie kommen wie gesagt samstags zu uns, und samstags ist unser Kontaktcafé geöffnet. Ich erkläre, dass psychische Erkrankungen häufig zu sozialer Isolation führen. Zum einen ziehen sich Betroffene zurück, weil sie sich nicht mehr verstanden fühlen. Umgekehrt zieht sich ihr Umfeld zurück, weil es die Betroffenen nicht mehr versteht. Wir im SPZ bieten mit dem Kontaktcafé einen Raum, wo sich diese Menschen wieder als Teil einer sozialen Gemeinschaft erleben. Das bekommen die Konfis mit. Sie sprechen nicht mit den Betroffenen, aber sie sehen, dass diese Menschen bei uns diesen Raum bekommen, der für sie wichtig ist. Wo sie sich wohlfühlen, wo sie sich sicher fühlen, wo sie wieder Teil von Gemeinschaft sind. Und auch diesen Eindruck nehmen die Konfis mit. Insofern ist es immer ganz wichtig, dass sie das SPZ nicht nur als Gebäude erleben, sondern dass sie auch erleben, dass es belebt ist.
Michael Lunkenheimer: Man merkt, finde ich, bei den Besuchen im SPZ immer, wie es in den Konfis arbeitet. Natürlich sind sie von ihren Erfahrungen her bisher unterschiedlich mit dem Thema in Berührung gekommen. Aber sie sind sehr bei der Sache und aufmerksam. Aus sich heraus kommen im Gespräch noch wenige, manche Frage wird eher am Rand gestellt. Dass eine psychische Erkrankung jede und jeden ereilen kann, rückt vor Ort an sie heran.
Hat auch das SPZ etwas von den Besuchen der Konfis?
Martin Schmidt: Auf jeden Fall. Konfitage sind Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit, das SPZ sozusagen aus dem Verborgenen zu holen und deutlich zu machen, dass es uns gibt. Im besten Fall ist es so, dass die jungen Menschen nach einem Besuch bei uns hoffentlich mitnehmen, was das SPZ ist. Wenn sie dieses Wissen später in ihrem Leben einmal brauchen – für sich oder für andere Menschen. Manchmal sehe ich auch Jugendliche wieder, zum Beispiel für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Praktikum.
Michael Lunkenheimer: Ein wichtiger Punkt ist, dass die Konfis die Tätigkeit der Mitarbeitenden im SPZ wahrnehmen und zwar auch als diakonisches Handeln. Hier bringen sich Menschen beruflich und mit hohem Einsatz in der Diakonie für psychisch erkrankte Mitmenschen ein. Ohne Ansehen der Person können sie hierher kommen und auf den Dienst der diakonischen Mitarbeitenden bauen. Vielleicht stößt der Tag auch den einen oder die andere für den eigenen Werdegang an. Auf jeden Fall lernen sie eine professionelle soziale Arbeit kennen, die als Diakonie gleichzeitig ein ganz starkes Stück unserer Kirche ist!
Ist schon einmal etwas Überraschendes passiert?
Martin Schmidt: Die Gruppen sind relativ groß. Gerade für die jungen Menschen ist es oft schwer, Fragen zu stellen, weil sie sich damit auch ein bisschen aus der Reserve wagen müssten. Aber manchmal habe ich zwischendurch die Gelegenheit, mit Einzelnen kurz unter vier Augen zu plaudern, oder auch mal nur mit zwei, drei Konfis. Da kommen schonmal Fragen, die in der großen Gruppe nicht gestellt werden. Das ist wertvoll.
Welche Fragen zum Beispiel?
Martin Schmidt: Manchmal fragen Jugendliche, ob auch junge Menschen zu uns kommen. Dazu kann ich etwas sagen. Dass psychische Erkrankungen nicht an ein bestimmtes Alter gebunden sind, sondern dass wir im SPZ für alle Menschen da sind.
Was beeindruckt die Konfirmand*innen am meisten??
Michael Lunkenheimer: Neben den verschiedenen Möglichkeiten im SPZ hinterlässt immer wieder der Snoezel-Raum besonderen Eindruck. Der spricht die Konfis mit seiner chilligen Wirkung direkt an. Manche haben an dieser Stelle schon gefragt, ob sie dahin nicht mal wiederkommen können. Das ist doch das Beste, was passieren kann, wenn die Konfis ins Überlegen kommen, mal ins SPZ wiederzukommen.
Links
zu den Websites von SPZ und Gemeinde