Safer Use, einen Happen essen, einfach mal duschen
von Anna Neumann
15.08.2022
Mit einem Desinfektionstuch putzt er die weiße Tischplatte, zieht seinen schwarzen Hoodie von der Stuhllehne und die blaue Umhängetasche über – und ist schon durch die Tür.
Andere sind nicht so schnell. „Sie nutzen die Gelegenheit und quatschen mit mir, erzählen aus der Szene“, erläutert Kerstin Eeltink. Die Krankenschwester sitzt im Drogenkonsumraum der Suchthilfe der Diakonie An Sieg und Rhein dabei, während der Klient sich Heroin spritzt.
Die rote Box enthält alles für einen sterilen Drogengebrauch. Die Anwesenheit der Krankenpflegerin bedeutet: Sollte der Konsument ein Problem bekommen, ist sie sofort mit Erster Hilfe zur Stelle. Aus kleinen Anmeldezetteln und Personalkarten weiß sie Basics über die einzelnen Klient*innen. Wer substituiert ist. Wer Hepatitis hat.
Der Drogenkonsumraum gehört zum Café Koko. Eine Servicekraft hat an diesem Mittag Dienst hinter der Theke. Er gibt Essen aus, das er selbst gekocht hat. Die Nudeln mit indischer Curry-Sauce kosten 1,20 Euro. Das Essen geht gut weg.
Hilfe vom Sozialarbeiter
Nicht jeder Gast isst. Einer schläft auf dem schwarzen Sofa am Kopf des Raums. Klient*innen kommen, um sich an der Theke Spritzen abzuholen. An der Fensterseite hängt ein Bildschirm von der Decke. ZDF info läuft einfach durch, Dokumentationen halt.
In der „Sozialarbeiter-Ecke“ sitzt Viktor Berglesow mit einem Klienten. Dieser hat eine Strom- und Heizkostennachforderung von 1.200 Euro bekommen. Total überfordert. Berglesow hilft bei der Kontaktaufnahme mit Stromanbieter und Jobcenter. Stundung und Verhinderung von Stromsperre sind das Ziel. Alltägliche Arbeit eines Sozialarbeiters im Kontaktladen.
Hinter der Theke werfen die Servicekraft und Eeltinks Krankenpflege-Kollege immer mal wieder einen Blick auf die Kamera: Draußen im Hof sitzt eine Gruppe beisammen und erzählt. Weil nur Konsum erlaubt ist, nicht aber Dealen, müssen die Mitarbeiter aufpassen. So sind die Hausregeln.
Sichere, kontrollierte Bedingungen
Mit Hausregeln hat auch eine der Aufgaben von Kerstin Eeltink zu tun: Im Drogenkonsumraum steht sie nicht nur für den Notfall bereit, sondern überwacht auch über einen Deckenspiegel, was am Tisch vor sich geht: Erlaubt ist immer nur ein einzelner Konsumvorgang.
Im Drogenkonsumraum gibt es – abgetrennt durch Glasscheiben – auch noch eine Raucherkabine, eingerichtet erst im Dezember 2020. Eine schonendere Möglichkeit, Opiate zu konsumieren, wie Suchthilfe-Leiter Jürgen Graff erläutert. Es geht um Safer Use. Um Harm Reduction.
Das ist die Philosophie für den Drogenkonsumraum: Konsum unter sicheren, kontrollierten Bedingungen ermöglichen. „Es geht um Schadensbegrenzung.“ Und darum, Todesfälle zu vermeiden. Das größte Risiko ist Überdosierung. Die traurige Alternative wäre Konsum alleine beispielsweise auf öffentlichen Toiletten, dort dann logischerweise bei geschlossener Tür. Jürgen Graff sagt es drastisch: „Wer dann wegkippt, ist weg.“
Sucht ist mit Einsamkeit verknüpft
Ein Thema ist immer noch die Pandemie, vor allem die ersten Lockdowns. Die Suchthilfe war zwar durchgängig geöffnet, aber die Covid-Einschränkungen bewirkten, dass nicht alle reindurften. Wem es schlecht geht, ging es schlechter. Rückzugstendenzen wurden verstärkt. Sucht, sagt Jürgen Graff, ist immer mit Einsamkeit verknüpft. Das verschlimmerte sich in der Pandemie.
Einsamkeit. Das „Koko“ steht deshalb namentlich wie programmatisch für Kommunikation und Kontakt. Es ist der Safe Space für Menschen, deren Leben von Gewalt, Traumata und prekären Verhältnissen geprägt ist. Für die Sucht erst einmal eine Art Selbstmedikation ist. Drink doch ene met. Die. Medizin hilft. Die Stimmung steigt.
Leider nur kurzfristig. Der Mechanismus funktioniert nicht: Die Mittel sind hart und stark und ein Kreislauf der Beschädigung nimmt Fahrt auf.
„Eckiger Tisch“
An diesem Tag ist auch „Eckiger Tisch“. Eine Art offene Sprechstunde mit dem Suchthilfe-Leiter. Zeit für Beschwerden. „Ich habe nur eine Frage: Wann ist der Urlaub vorbei“, will ein Gast wissen. Die Frage, stellt sich heraus, bezieht sich auf eingeschränkte Öffnungszeiten. Der Dienstplan ging zeitweilig nicht auf, erklärt Graff. Die Engpässe hatten nicht nur mit der Sommerferienzeit zu tun, sondern auch mit unbesetzten Stellen. Fachkräftemangel. Ab September werden wir wieder durchgängig jeden Tag öffnen können, verspricht der Leiter. Zwei neue Mitarbeitende wurden nach langer Suche letztendlich gefunden.
Ärger und Enttäuschungen einfangen, um Verständnis werben, Probleme offen besprechen. Eine andere Frage dreht sich um den PC. Zunächst wegen Hygieneregeln der Pandemie, dann wegen einer technischen Umstellung, fungiert das Café Koko immer noch nicht wieder als Internetcafé. Da muss Graff vertrösten. „Aber es kommt definitiv wieder.“ Er weiß, dass viele Gäste für ihre Handys nur kleine Flats haben und einen eigenen PC oder ein Laptop schon gar nicht besitzen.
Mit einer Krankheit menschenwürdig umgehen
Unterdessen ein Kommen und Gehen: Kerstin Eeltink passt auf nächste Konsumierende auf. Wenn jemand high ist und schläfrig wird, tippt sie höchstens mal die Schulter an. Sie sollen es doch genießen. Nur: „Ich muss unterscheiden, ob die Atmung anders wird.“ Ob ein Problem entsteht.
Doch, sagt sie, sie findet ihren Job sinnvoll: Sie habe zwanzig Jahre lang in der Pflege von Tumorpatienten gearbeitet, Menschen, die auf den Tod zugingen. In der Suchthilfe habe sie es auch mit Menschen mit einer Krankheit zu tun. „Es ist hier ein Stück weit ein menschenwürdiger Umgang mit Krankheit.“
Wäsche waschen, duschen, etwas essen
Eine der beiden Bosch-Maschinen schleudert. Das Café Koko ist für etliche Gäste auch der Ort, wo sie ihre Klamotten waschen können. Es ist der Ort, wo sie duschen. Und wo sie etwas zwischen die Rippen kriegen. Ein Mann verkimmelt jetzt ein Stück Pflaumenkuchen mit Schlagsahne, schaut dabei zum Fernseher hoch.
Kannst du dir nicht ausdenken: Inzwischen läuft auf ZDF info ein Porträt über Amy Winehouse. Noch bis 14.20 Uhr. „Lost Soul“ heißt der Film über die Soul-Diva. Ihr Tod durch Alkoholvergiftung jährt sich gerade.
Jubiläum! Das SPZ gehört zur Diakonie An Sieg und Rhein, die ihr 75-jähriges Bestehen feiert.
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