Weil Kirchenasyl ein Beispiel für Nächstenliebe ist

Dr. Katharina Stork-Denker und Mathias Bergmann

Hilfe für Geflüchtete gelingt gut und gern dank einer engen Zusammenarbeit von Kirchengemeinde und Diakonischem Werk. Wie das konkret beim Kirchenasyl funktioniert, beschreiben Dr. Katharina Stork-Denker, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Niederkassel, und Mathias Bergmann, der Diplom-Pädagoge ist in der Flüchtlingsberatung der Diakonie An Sieg und Rhein tätig.

Sie arbeiten beim Kirchenasyl Hand in Hand. Was brauchen Sie voneinander?

Katharina Stork-Denker: Unser Kirchenasyl ist nicht ohne Hilfe des Diakonischen Werks möglich. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Schließlich brauchen wir eine fachliche Einschätzung, ob eine Anfrage nach Kirchenasyl begründet ist. Die Expertise, auch über die Situation in Drittländern, haben wir nicht. Sie liegt bei der Flüchtlingsberatung.

Wer bekommt Kirchenasyl?

Katharina Stork-Denker: Menschen, die in einer ZUE oder einer Kommune untergebracht sind und einen Abschiebetermin haben oder wissen, dass sie in ein anderes Dublin-Land überstellt werden – und bei denen eine besondere Härte vorliegt. Es spricht sich herum, dass es hier Kirchenasyl gibt, deshalb wenden sich viele direkt an uns. Die Leute stehen vor der Tür, die Leute rufen an.

Mathias Bergmann: Auch über mich kommen Anfragen, mitunter landen sie bei uns beiden. Dann heißt es: sich abzusprechen. Ich weiß: In Niederkassel ist immer viel möglich, deshalb sind die Plätze immer schnell belegt. Ich nehme in der Beratung eine Einschätzung vor, ob eine besondere Härte vorliegt und sich dementsprechend ein Kirchenasyl begründen lässt.

Was ist ein Härtefall – haben Sie dafür ein Beispiel?

Katharina Stork-Denker: Ich denke an eine Frau, die ihre demente Mutter gepflegt hat. Wir haben die Frau ins Kirchenasyl genommen, damit sie sich weiter um ihre Mutter kümmern kann und beide nicht getrennt werden. Es sind immer persönliche Einzelschicksale.

Mathias Bergmann: Oft bewerten BAMF und Gerichte die Fälle anders. In diesem Fall wurde gesagt, es könnte doch eine gesetzliche Betreuung für die Mutter bestellt werden. Dann sei sie doch versorgt. Doch laut ärztlichem Attest würde die Mutter in Lebensgefahr geraten, würde statt der Tochter irgendjemand die Pflege übernehmen, da sie beispielsweise die Nahrungsaufnahme gegenüber einer fremden Person verweigert hätte

Katharina Stork-Denker: Andere Härtefälle sind bedingt durch Erfahrungen in den Drittländern.

Mathias Bergmann: So hatten wir eine Kirchenasylanfrage von einer Familie aus dem Iran. Die Familie ist über Estland nach Deutschland gekommen und hat ganz fürchterliche Erfahrungen in Estland gemacht. Die Kinder hatten von den Vorkommnissen im Heimatland, die die Flucht begründet haben, nicht besonders viel mitbekommen. Aber in Estland wurden sie traumatisiert. Beim Sohn wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, er wird deshalb jetzt hier behandelt. Estnische Beamte haben den Vater misshandelt – vor den Augen des Sohnes. Sie wurden wohl auch mit Hunden durch den Wald verfolgt. Trotzdem sollte die Familie dorthin zurücküberstellt werden.

Katharina Stork-Denker: Ein anderes Beispiel, wenn auch kein aktuelles, da Italien zurzeit niemanden zurücknimmt: Wenn eine alleinstehende Frau nach Italien abgeschoben wird, muss man befürchten, dass sie dort auf der Straße landet und womöglich nur mit Prostitution zu Geld kommt. Das ist eine besondere Gefahr – für Frauen und noch viel mehr für alleinerziehende Mütter.

Mathias Bergmann: Bei gewissen europäischen Ländern muss man genau hinschauen. Wir wissen, in Ländern wie Kroatien oder Bulgarien sind die Bedingungen menschenunwürdig.

Ist das Kirchenasyl der Gemeinde ein politisches oder ein diakonisches Engagement?

Katharina Stork-Denker: So, wie wir es hier praktisch machen, ist es für mich eine diakonische Arbeit. Wir helfen einzelnen Menschen in einer ganz konkreten Situation. Kirchenasyl können nur wir als Kirchen tun. Wir machen es, weil wir die Möglichkeit dazu haben.

Mathias Bergmann: Dazu passt die Frage am Anfang nach unserer Zusammenarbeit. Ich brauche von der Gemeinde den Platz. Die Gemeinde übernimmt alles, was danach kommt: das Dossier, die tägliche Versorgung.

Katharina Stork-Denker: Wir begleiten zu Ärzten. Wir versuchen aber auch, den Menschen sehr viel Freiraum zu geben.

Wie weit reicht der Freiraum? Es gibt hier zwei Zimmer, Toiletten und den Duschraum.

Katharina Stork-Denker: Wir haben schon Kinder in Schulen vermittelt. Wir laden zu unseren interkulturellen Cafés ein. Und wir sagen den Menschen: Wirklich sicher sind sie in unseren kirchlichen Räumen, aber zum Glück gehört dazu mehr als nur das Zimmer. Gekocht werden kann unten in unserer Küche. Und schließlich unterstützen wir als Kirchengemeinde finanziell. Denn der Unterhalt fällt weg, sobald jemand Kirchenasyl antritt.

Mathias Bergmann: Eine Sache kritisieren wir von der Diakonie sehr: Mit dem sog. Sicherheitspaket, das seit Oktober gilt, erhalten Menschen, für deren Asylverfahren ein anderes europäisches Land zuständig ist und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, maximal noch zwei Wochen eine Überbrückungsleistung in Form von Sachmitteln. Das ist eine enorme Verschärfung, die wir menschenunwürdig finden, denn das berührt das Existenzminimum.

Was gibt die Gemeinde für das Kirchenasyl aus?

Katharina Stork-Denker: Wir mussten reduzieren, weil es uns zu viel geworden war. Heute zahlen wir 200 Euro pro Monat. Das nehmen wir aus Diakonie-Mitteln, außerdem unterstützen Nachbar-Kirchengemeinden, die aus personellen oder räumlichen Gründen selbst kein Kirchenasyl anbieten können.

Warum setzen sich Kirche und Diakonie für Geflüchtete ein?

Mathias Bergmann: Weil die Situation für Geflüchtete in manchen Dublin-Ländern schlimm ist. Sie werden mangelhaft versorgt und untergebracht. Wie gesagt, es geht um Kindeswohlgefährdung oder auch um Zwangsprostitution. Ich kann nachvollziehen, dass man Angst bekommt angesichts von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München. Aber ich sehe vulnerable Gruppen und treffe Menschen, die vor Misshandlungen geschützt werden müssen und die in Drittländern Schlimmes erwartet, müssten sie dorthin zurück.

Katharina Stork-Denker: Wir lassen es uns nicht nehmen, für Einzelne einzutreten. Wir wollen Nächstenliebe und Menschlichkeit leben. Wir sehen nicht eine große Zahl, sondern wir sehen beim Kirchenasyl immer die einzelnen Menschen. Es geht uns um Hilfe für die Menschen, die vor uns sitzen.

 

Stichwort Kirchenasyl

Bundesweit haben 2024 gut fünfhundert Menschen Kirchenasyl erhalten. Die Evangelische Kirche im Rheinland verzeichnete im Januar etwas mehr als hundert Menschen in einem Kirchenasyl, alle mit einem Dublin-Hintergrund. NRW bringt Flüchtlinge nach dem Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) unter. Wer die EU erstmals in einem anderen Land als Deutschland betreten hat, soll dorthin abgeschoben werden und ggf. dort Asyl beantragen, so die einst in Dublin vereinbarte EU-Regel. Das sind primär Länder wie Bulgarien und Kroatien, je nach Fluchtroute auch Litauen, Griechenland, Spanien oder Portugal. Ein Kirchenasyl schützt Flüchtlinge vor Abschiebung, wenn begründete Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr ins Dublin-Land bestehen.

Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Niederkassel hat im Jahr 2017 beschlossen, grundsätzlich zu Kirchenasyl bereit zu sein. Konkret holt sie in jedem Fall Rat in der Flüchtlingsberatung der Diakonie An Sieg und Rhein ein, außerdem beim Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW. Sie ist verpflichtet, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Dossier zu übersenden. Gegebenenfalls führt ein Kirchenasyl dazu, dass das Asylverfahren hierzulande startet. Bis heute hat die Gemeinde Niederkassel 21 Kirchenasyle gewährt. Ihre Gäste kommen aus Ländern wie Iran, Irak oder auch Angola.

 

mehr erfahren: kirchenasyl.de

Autorin: Anna Neumann

Links

zur Gemeinde-Website und zu den Hilfen bei Flucht und Migration der Diakonie An Sieg und Rhein