Kreiscaritasdirektor Harald Klippel (von u.r. weiter im Uhrzeigersinn), Diakonie-Geschäftsführer Patrick Ehmann, Caritas-Abteilungsleiterin Kirsten Liebmann und Diakonie-Fachbereichsleiterin Michaela Teigelmeister bei der Pressekonferenz zum Thema MBE - die Beratung hat Shabnam Gharieh (M.r.) selbst durchlaufen.

Migrationsberatung für Erwachsene (MBE): Freiwillig, unabhängig, komplex und nachgefragt

von Anna Neumann

01.07.2021

Ihre Einbürgerung ist noch taufrisch, stammt aus der vorigen Woche, die Freude darüber steht Shabnam Gharieh ins Gesicht geschrieben.


Dabei ist auch klar: Seit ihrer Ankunft in Deutschland vor acht Jahren haben viele völlig unterschiedliche Fragen ihren Weg gepflastert. Dankbar ist sie deshalb über die Unterstützung, die sie bei der „Migrationsberatung für Erwachsene“ (MBE) erhalten hat.

MBE, ein Bundesprogramm, umgesetzt und mitfinanziert von Freien Trägern, läuft seit mittlerweile 16 Jahren. „Wir sind stolz, dass wir es bewerkstelligen“, sagte Kreiscaritasdirektor Harald Klippel in der gemeinsamen Pressekonferenz des Caritasverbandes Rhein-Sieg und der Diakonie An Sieg und Rhein am Aktionstag MBE. Zusammen steuern die beiden Wohlfahrtsverbände jährlich eine sechsstellige Summe aus eigenen Mitteln bei, 2020 waren es rund 106.000 Euro, damit übernehmen sie mehr als 35 Prozent der Kosten.

Die Beratung ist freiwillig. Klippel: „Wer kommt, hat einen inneren Gewinn.“ Und das funktioniert: Bundesweit erfolgen rund 300 Beratungen pro Vollzeitkraft jährlich. Im Rhein-Sieg-Kreis sogar mehr. Geleistet wird die Arbeit im Kreis von dreieinhalb Vollzeitkräften, berichtete Klippel weiter. Büros haben Caritas und Diakonie in Siegburg, Troisdorf und Meckenheim, hinzukommen Außensprechstunden an verschiedenen Orten.

KIM als schleichende Gefahr?

Die Finanzierung der MBE bleibt dauerhaft ein schwieriges Thema, erklärte Patrick Ehmann, Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein. Als schleichende Gefahr sprach er das neue NRW-Programm „Kommunales Integrationsmanagement“ (KIM) an. Einerseits begrüßte er, dass via KIM 18 Stellen im Rhein-Sieg-Kreis entstehen sollen. Die Bandbreite der Aufgaben reicht von Case-Management über Interkulturelle Öffnung bis zur Klärung von Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde. Gute Sache: „Das Thema ist politisch angekommen.“

Andererseits sieht er die Schwierigkeit, dass auf Landesebene parallel zum Bund eine komplett neue Struktur aufgebaut wird. Das in 16 Jahren Aufgebaute werde nicht berücksichtigt, womöglich beiseite gefegt. Ist die Arbeit an Bedarfslagen in Gefahr? Die Ansiedlung bei Kommunen und Kreisen gefährde außerdem die Unabhängigkeit und damit die Vertrauenswürdigkeit der Beratung.

Dritte Gefahr sei möglicherweise die Konkurrenz von KIM als Landesprogramm und MBE als Bundesprogramm. Bei allem Lob, dass NRW viele Mittel in die Integration gibt, sorgt sich Ehmann um das Subsidiaritätsprinzip und dass der Bund aus NRW womöglich die MBE-Gelder abziehen könnte. Für KIM müsse zunächst ein Konzept erstellt werden, forderte Kreiscaritasdirektor Klippel, der KIM ein „zweischneidiges Schwert“ nannte. „Wir sind interessiert, dass sich Haltungen ändern, andererseits sind wir Verfechter von Subsidiarität.“

Vielfältige Beratungsthemen

Sprache lernen, Arbeit finden, Kinder einschulen. Eine sozialrechtliche Frage klären, einen Miet- oder einen Handyvertrag abschließen, die Mülltrennung verinnerlichen. Die Themen der Migrant*innen in der MBE sind vielfältig, erklärte Kirsten Liebmann, Abteilungsleiterin Integration und Migration, Krebsberatung und Kurberatung des Caritasverbandes Rhein-Sieg. Einen Behördenbrief oder die Corona-Regeln verstehen, vor einer OP einen ehrenamtlichen Dolmetscher finden, für eine Bewerbung den Lebenslauf zu Papier bringen – auch bei solchen Anliegen gibt es Hilfe in der MBE.

So verschieden, oft auch komplex die Fragen, so „heterogen die Zielgruppe“. Neben Geflüchteten kommen auch EU-Bürger in die Beratung, ausländische Studierende, Aussiedler. Manche sind hochgebildet, andere stehen in einer prekären Lebenslage, so Liebmann. Familiennachzug, Leistungen des Jobcenters, Einbürgerung, Berufsanerkennung, Arbeitsvisum – die Berater*innen greifen auf breites Wissen zurück.

Gelingende Integration

Die MBE trage – gerade auch durch Kooperationen, etwa mit den Familienzentren, etwa mit Jobcenter und Arbeitsagentur – zu gelingender Integration bei, erklärte Michaela Teigelmeister, Fachbereichsleiterin Offene Sozialarbeit der Diakonie An Sieg und Rhein. Die Lage veränderte sich im Laufe der Zeit, die interkulturelle Öffnung wächstMigrant*innen stehen nicht ratlos vor einem Behördendschungel, sondern erkennen Strukturen, erhalten Zugänge.

Teigelmeister: „Spätestens seit 2015, dem Sommer der Migration, ist das Thema angekommen. Alle wissen, sie müssen sich mit Migration beschäftigen.“ MBE schlage eine Brücke zwischen Ratsuchenden und der Verwaltung.

Corona habe die Zugänge zwar erschwert. Aber: Auch in der Corona-Pandemie sei die MBE im Rhein-Sieg-Kreis immer persönlich erreichbar geblieben, so Teigelmeister. Allerdings sei digitale Beratung zwar für viele ein Leichtes, für manche allerdings ein Hürde.

Shabnam Gharieh ist bis heute dankbar für die Hilfe, die sie in den zurückliegenden sechs Jahren bei der MBE bekam. Die 39-Jährige berichtete, dass sie anfangs psychosoziale Beratung wahrnahm. Im Laufe der Zeit erhielt sie Unterstützung bezüglich ihrer Aufenthaltsgenehmigung und bei der Anerkennung ihres Studiums, was die Wohnung angeht, außerdem bei der Ausbildung, die sie aufnahm. Sie hatte den Iran aus familiären Gründen verlassen, hatte Chemie studiert. Heute lebt sie in Troisdorf und arbeitet in einem Krankenhaus in der medizinischen Diagnostik.

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zum Caritasverband Rhein-Sieg